Presse- und Redefreiheit in der Ukraine

Erfahrungen als russisch-sprachiger ukrainischer Journalist in der Ukrаine 2014-2024

Vasyl Muravytski

 

 

A. Meine Grundsatzfragen und Antworten zum Krieg

  1. Kann ich den russischen Militäreinsatz in der Ukraine unterstützen?
    Nein! Ich will keinen Krieg unterstützen!

  2.  Bedeutet das, dass wir der ukrainischen Führung den Sieg wünschen sollten? 
    Vielleicht schon!

  3.  Aber was soll ich tun, wenn ich feststellen muss, dass sich die ukrainische Führung manchmal ebenso schlimm verhält wie die russische - z.B. wenn sie die russische Sprache, Kultur und Geschichte, die grosse Teile der Ukraine über Jahrhunderte prägten, aus dem Land verbannen will - und wenn ich weiss, dass die Ukraine von der Idee eines liberalen, freien europäischen Rechtsstaates etwa gleich weit entfernt ist wie Russland? Was bedeutet all das für Russland, die Ukraine und Europa?

Europa spielt bisher in diesem Krieg - angesichts des im Westen einhellig verurteilten russischen Angriffs auf die Ukraine - eine sehr verständliche, aber immer gefährlicher werdende Rolle! Mit immer härteren Sanktionen gegen Russland und der Lieferung von immer schwereren Waffen an die Ukraine wird Europa immer mehr zur Kriegspartei an der Seite der Ukraine! - Basierend auf meinen Kenntnissen der russischen Kultur und Machtstrukturen und deren Besonderheiten wird infolgedessen Russland versuchen, (gemeinsam mit China?) einen endlosen Zermürbungskrieg zu führen und zu gewinnen und dabei der Ukraine inakzeptable, enorme Verluste zuzufügen und Europa und seine Werte empfindlich und dauerhaft zu schwächen!

Europa muss deshalb zum Friedensvermittler werden und dabei dem Beispiel der  Schweiz folgen! - Diese hat meiner Meinung nach bis vor Kurzem alles verantwortungsbewusst, überzeugend und richtig gemacht; doch muss sie sich jetzt noch konsequenter als bisher auf die humanitäre und die Wiederaufbauhilfe konzentrieren - neutral, glaubwürdig (im Sinne des IKRK und der OSZE) und von beiden Seiten anerkannt! - Die Schweiz muss zusammen mit Europa entschlossen einen dauerhaften, raschen Frieden mittels beidseitig akzeptierten Verhandlungen und Kompromissen anstreben!


B. Meine von Amnesty International (AI) beglaubigten Erfahrungen 

Aufgrund meiner journalistischen Berichterstattung über die humanitäre Blockade und Hilfeleistung für die russisch besetzten Gebiete in der Ostukraine beschuldigte mich der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU) bereits 2014 terroristischer Aktivitäten, dies obwohl ich vorher nie in Donezk oder Lugansk war, nie Separatisten kontaktierte und nie eine Waffe in der Hand hielt!

Am 2. August 2017 wurde ich dann vom SBU des Hochverrats, der Bedrohung der territorialen Integrität der Ukraine, der Beteiligung an einer Terrororganisation und der Anstiftung zum Hass angeklagt und in der Geburtsklinik (!) von Schytomyr (120 km westlich von Kiew) kurz nach der Geburt meines Sohnes - in Untersuchungshaft genommen, die anschliessend mehrmals verlängert wurde. So verbrachte ich insgesamt ein Jahr im Gefängnis und zwei Jahre im Hausarrest, bevor mir im Sommer 2021 die Flucht nach Finnland gelang.

Die weltweit bekannte Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) spielte dabei ein entscheidende Rolle, indem sie sich meines auch für sie einzigartigen Falls annahm und alle meine Aussagen prüfte. Am 20. Dezember 2017 bezeugte AI in ihrem international veröffentlichten Appell die Echtheit meiner Erfahrungenund forderte die ukrainischen Behörden auf, mich sofort und bedingungslos unter Aufhebung aller gegen mich vorgebrachten Anklagepunkte aus der Haft zu entlassen – mit folgender Begründung:

  1. Ich sei nur verfolgt worden, weil ich meine Meinung öffentlich und frei geäußert und die russische Presseagentur RIA Novosti als Quelle genutzt habe. Sowohl die Meinungsfreiheit als auch die freie Quellenwahl seien аber wichtige Voraussetzungen für die Berufsausübung jedes Journalisten. Als Mitglied des Internationalen Übereinkommens über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sei die Ukraine verpflichtet, die Meinungs- und Redefreiheit auch der Journalisten zu garantieren!

  2. Die für ein faires Verfahren unbedingt erforderlichen Unterlagen seien mir und meinen Anwälten nicht zur Verfügung gestellt worden, insbesondere die Einzelheiten und Gründe für die gegen mich erhobenen Anklagen sowie eine Liste meiner angeblich illegalen Publikationen! 

  3. Der SBU habe u.a. mit Hausdurchsuchungen auf mich, meine Frau und Bekannte von mir mehrfach massiven Druck ausgeübt, um sie für eine Zeugenaussage gegen mich zu gewinnen! - Am 24. Oktober, 2. November und 20. Dezember 2017 wurden die Beratungen des Regionalparlaments in Schytomyr von Mitgliedern einer paramilitärischen ukrainischen Freiwilligenorganisation in Kampfmontur mit Morddrohungen gegen «Separatisten» (wie mich) unterbrochen, und von einer Gruppe von «Verräter" schreienden Frauen (wohl an mich gerichtet) empfindlich gestört - doch wurden diese Vorfälle nie behördlich untersucht. Faire Verfahren sind so unmöglich!

Mittlerweile bin ich vom ukrainischen Justizsystem völlig desillusioniert. Ich erhielt Dokumente, aus denen hervorgeht, dass der Richter, der meine Verhaftung angeordnet hatte, in engem Kontakt mit meinen Anklägern stand. Darüber hinaus griffen Sicherheitsbeamte mich und meinen Anwalt gewaltsam an und bedrohten auch andere Richter, die mit meinem Fall beschäftigt waren. Ich fühlte mich allein gelassen im Kampf gegen ein Regierungssystem, das sich an keinerlei Gesetze hielt, während ich NUR nach dem Gesetz handeln wollte! - Heute hat der SBU total freie Hand, selbst für außergerichtliche Hinrichtungen! Wenn ich jetzt in meine Heimat zurückkehren würde, wäre das für mich die sichere Verhaftung und/oder der Tod!

 

 

C. Mein Fazit: Der Krieg löst keine Probleme – er schafft nur neue!

Mit dem Krieg wurde Alles für alle Beteiligten 100-mal schlimmer! Der Krieg beseitigt die Probleme der Ukraine, Russlands und Europas nicht! Er führt im Gegenteil in ein immer schrecklicheres Chaos! Er verursacht jeden Tag auf beiden Seiten immer mehr Opfer, Leid, Unglück, Verwundete und Tote und säht immer mehr Hass zwischen den ehemaligen Brudervölkern!

Deshalb gibt es nur eine Lösung, wenn wir wirklich wollen, dass wir uns in Zukunft nie wieder - wie bisher - mit immer blutigeren Kriegen rächen müssen – sondern mit Vernunft und Verständnis, friedlich und bereit zu vergeben- mit einem sofortige Waffenstillstand und der Beendigung des Krieges auf der Grundlage von gesichtswahrenden Verhandlungen und Kompromissen!“

 

 

Bild: Vasyl Muravytskyi
Vasyl Muravytskyi

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