Erfahrungen als russisch-sprachiger ukrainischer Journalist in der Ukrаine 2014-2024
Vasyl Muravytski
A. Meine Grundsatzfragen und Antworten zum Krieg
Europa spielt bisher in diesem Krieg - angesichts des im Westen einhellig verurteilten russischen Angriffs auf die Ukraine - eine sehr verständliche, aber immer
gefährlicher werdende Rolle! Mit immer härteren Sanktionen gegen Russland und der Lieferung von immer schwereren Waffen an die Ukraine wird Europa
immer mehr zur Kriegspartei an der Seite der Ukraine! - Basierend auf meinen Kenntnissen der russischen Kultur und Machtstrukturen und deren Besonderheiten wird infolgedessen Russland
versuchen, (gemeinsam mit China?) einen endlosen Zermürbungskrieg zu führen und zu gewinnen und dabei der Ukraine inakzeptable, enorme Verluste zuzufügen und Europa und seine Werte
empfindlich und dauerhaft zu schwächen!
Europa muss deshalb zum Friedensvermittler werden und dabei dem Beispiel der Schweiz folgen! - Diese
hat meiner Meinung nach bis vor Kurzem alles verantwortungsbewusst, überzeugend und richtig gemacht; doch muss sie sich jetzt noch konsequenter als bisher auf die humanitäre und die
Wiederaufbauhilfe konzentrieren - neutral, glaubwürdig (im Sinne des IKRK und der OSZE) und von beiden Seiten anerkannt! - Die Schweiz muss zusammen mit Europa entschlossen einen
dauerhaften, raschen Frieden mittels beidseitig akzeptierten Verhandlungen und Kompromissen anstreben!
B. Meine von Amnesty International (AI) beglaubigten Erfahrungen
Aufgrund meiner journalistischen Berichterstattung über die humanitäre Blockade und Hilfeleistung für die russisch besetzten Gebiete in der Ostukraine beschuldigte
mich der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU) bereits 2014 terroristischer Aktivitäten, dies obwohl ich vorher nie in Donezk oder Lugansk war, nie Separatisten kontaktierte
und nie eine Waffe in der Hand hielt!
Am 2. August 2017 wurde ich dann vom SBU des Hochverrats, der Bedrohung der territorialen Integrität der Ukraine,
der Beteiligung an einer Terrororganisation und der Anstiftung zum Hass angeklagt und in der Geburtsklinik (!) von Schytomyr (120 km westlich von Kiew) kurz nach der Geburt meines Sohnes - in
Untersuchungshaft genommen, die anschliessend mehrmals verlängert wurde. So verbrachte ich insgesamt ein Jahr im Gefängnis und zwei Jahre im Hausarrest, bevor mir im Sommer 2021 die Flucht nach
Finnland gelang.
Die weltweit bekannte Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) spielte dabei ein entscheidende Rolle, indem sie sich meines auch für sie
einzigartigen Falls annahm und alle meine Aussagen prüfte. Am 20. Dezember 2017 bezeugte AI in ihrem international veröffentlichten Appell die Echtheit
meiner Erfahrungenund forderte die ukrainischen Behörden auf, mich sofort und bedingungslos unter Aufhebung aller gegen mich vorgebrachten Anklagepunkte aus der Haft zu entlassen –
mit folgender Begründung:
Mittlerweile bin ich vom ukrainischen Justizsystem völlig desillusioniert. Ich erhielt Dokumente, aus denen hervorgeht, dass der Richter, der meine Verhaftung angeordnet hatte, in engem Kontakt mit meinen Anklägern stand. Darüber hinaus griffen Sicherheitsbeamte mich und meinen Anwalt gewaltsam an und bedrohten auch andere Richter, die mit meinem Fall beschäftigt waren. Ich fühlte mich allein gelassen im Kampf gegen ein Regierungssystem, das sich an keinerlei Gesetze hielt, während ich NUR nach dem Gesetz handeln wollte! - Heute hat der SBU total freie Hand, selbst für außergerichtliche Hinrichtungen! Wenn ich jetzt in meine Heimat zurückkehren würde, wäre das für mich die sichere Verhaftung und/oder der Tod!
C. Mein Fazit: Der Krieg löst keine Probleme – er schafft nur neue!
Mit dem Krieg wurde Alles für alle Beteiligten 100-mal schlimmer! Der Krieg beseitigt die Probleme der Ukraine, Russlands und Europas nicht! Er führt im Gegenteil
in ein immer schrecklicheres Chaos! Er verursacht jeden Tag auf beiden Seiten immer mehr Opfer, Leid, Unglück, Verwundete und Tote und säht immer mehr Hass zwischen den ehemaligen
Brudervölkern!
Deshalb gibt es nur eine Lösung, wenn wir wirklich wollen, dass wir uns in Zukunft nie wieder - wie bisher - mit immer blutigeren Kriegen rächen müssen – sondern mit Vernunft und
Verständnis, friedlich und bereit zu vergeben- mit einem sofortige Waffenstillstand und der Beendigung des Krieges auf der Grundlage von gesichtswahrenden Verhandlungen und
Kompromissen!“